“Begründete Zweifel” retten 24-Jährige vor Giftspritze

“Begründete Zweifel” retten 25-Jährige vor Giftspritze

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Obwohl die Beweislast in der Mordanklage erdrückend war, kommt Casey Anthony mit einer geringen Haftstrafe davon. Die Zweifel der Geschworenen wogen schwerer. Von Christoph Cöln

Prozess deckt die Abgründe einer US-Familie auf1/16
APTOPIX Casey Anthony Trial

Foto: dapd/DAPDDie 25-jährige Casey Anthony wurde von einer Jury vom Vorwurf des Mordes an ihrer Tochter freigesprochen. Die Angeklagte kann es nicht fassen.

 

Foto: dapd/DAPDVor dem Gerichtsgebäude schlagen die Wellen hoch: Es herrschen Wut…

 

Foto: REUTERS…Fassungslosigkeit…

 

Foto: dapd/DAPDUnter anderem behauptete diese Frau, Krystal Holloway, ein Verhältnis mit George Anthony gehabt zu haben.

 

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Dieses Urteil ist eine Sensation. Und es spaltet Amerika.

Das ganze Land hielt den Atem an, als die zwölf Geschworenen Dienstagnachmittag den Gerichtssaal in Orlando betraten und dem Vorsitzenden, Richter Belvin Perry Jr., einen Stapel Papiere in die Hand drückten. Darauf stand die Entscheidung im Fall der 25-jährigen Casey Anthony. Sie lautete: Nicht schuldig.

Anthony war des besonders schweren Mordes an ihrer Tochter Caylee angeklagt. Bei einem Schuldspruch drohte ihr die Höchststrafe. Und die lautet im Sonnenstaat Florida: Tod durch die Giftspritze. Doch die Geschworenen waren der Auffassung, Casey Anthony sei nur in vier Fällen schuldig, die Ermittler belogen zu haben. Das genaue Strafmaß wird am Donnerstag (7.7.2011) bekannt gegeben. Anthony muss mit bis zu vier Jahren Gefängnis rechnen.

Zusammengesunken saß die junge Frau auf der Anklagebank. Das dunkle Haar streng gebunden, ihr altmodisches rosa Spitzenhemd hochgeknöpft, kämpfte sie mit den Tränen. Kaum einer, wohl auch sie selbst nicht, hatte diesen Spruch erwartet. Schien doch die Beweislast gegen die junge Mutter mehr als erdrückend.

Angeblich kümmerte sich ein junger Mann um die Zweijährige

 

Die Staatsanwaltschaft frohlockte geradezu, ob der eindeutigen Indizien, die sie im Laufe des sechswöchigen Verfahrens aufbieten konnte. Der Ausgang des Prozesses schien klar, das Urteil der Jury nur noch Formsache. Da war das Paketklebeband, die Spuren von Chloroform, das seltsame Verhalten der Mutter und nicht zuletzt deren ausschweifender Lebenswandel.

31 Tage hatte es gedauert, bis Casey Anthony im Juni 2008 das Verschwinden ihrer zweijährigen Tochter Caylee der Polizei meldete. Und das auch nur, weil ihre Mutter sie dazu gedrängt hatte. Ihren Eltern gegenüber hatte Anthony beteuert, sie habe einen jungen Mann kennengelernt, der ebenfalls eine Tochter habe und sich nun einige Zeit um Caylee kümmere. 31 Tage. Insbesondere weibliche Prozessbeobachter sahen hierin den klarsten Beweis für Anthonys Schuld.

Sechs Monate später, im Dezember 2008 wurden die sterblichen Überreste Caylees in einem Waldstück in Florida entdeckt. Kaum identifizierbar. Weggeworfen wie einen Sack Müll.

Der Mund des Mädchens war mit Klebeband verklebt. Todesursache Ersticken. Außerdem fanden sich Reste von Chloroform, mit denen das Kind offenbar betäubt worden war. Schnell geriet die alleinerziehende Mutter ins Visier der Ermittler. Ihr unsteter Lebenswandel, Partys, häufig wechselnde Partner. Das Kind sei ihr eine Last gewesen, behauptete die Staatsanwaltschaft. Anthony habe es umgebracht, weil sie es loswerden wollte.

Doch nur ein Unfall?

 

Im Laufe des öffentlichen Verfahrens – in den US-Medien jagte eine Sondersendung die nächste, live aus dem Gericht versteht sich – wurde ein Homevideo von Casey gezeigt, auf dem eine Mutter zu sehen war, die ebenso liebevoll wie ausgelassen mit ihrer Tochter spielt. War ihr Tod doch nur ein Unfall? Casey Anthonys Anwälte hatten erklärt, Caylee sei im Swimmingpool der Familie ertrunken.

Verwirrung löste der Auftritt von Caseys Vater George aus, der im Zeugenstand von einem “bestialischen Gestank” berichtete, der aus dem Kofferraum von Caseys Auto drang und bei dem sich zweifelsohne um “Leichengeruch” handelte. Was er daraufhin unternahm, wollte er nicht erklären.

Mysteriös auch die Anschuldigung Caseys, ihr Vater habe sie jahrelang missbraucht, weshalb sie seit Jahren psychische Schwierigkeiten und ihr Leben nicht recht im Griff habe. George Anthony wies den Vorwurf mehrfach vehement zurück. “Lächerlich” sei das, er sei immer ein treusorgender Vater gewesen und wolle nur helfen, den Tod der Enkeltochter aufzuklären. Dann erlitt er einen Zusammenbruch auf der Zeugenbank.

Casey Anthonys Eltern verließen wortlos den Gerichtssaal

 

Seltsam war die Reaktion der Eltern bei Verkündigung des Freispruchs. Beide zeigten keine Regung. Wie erstarrt saßen sie im Zuschauerraum und hörten, wie ihre Tochter gerade der Todesstrafe entging. Noch bevor das Urteil zu Ende gesprochen war, verließen beide wortlos den Saal.

Auch professionelle Prozessbeobachter waren baff. Sie hatten den Verteidigern Casey Anthonys ein miserables Zeugnis ausgestellt, ihnen zum Vorwurf gemacht, sich nur auf eine einzige, eine Allerwelts-Argumentation zu stützen: das, was im amerikanischen Recht “reasonable doubt” genannt wird, der “begründete Zweifel”.

Die Verteidigung konnte sich das Lachen nicht verkneifen

 Als dann noch die zwölf Geschworenen nach rekordverdächtigen zehn Stunden ihre Beratungen beendet hatten, waren sich Amerikas Gerichtsreporter des Schuldspruchs schon sicher. Doch trotz aller Indizien, trotz größter Widersprüche, in die sich Casey Anthony verwickelt hatte, wollte die Jury sie nicht in den Tod schicken. Letztlich wog der “begründete Zweifel” schwerer.

Wie die kleine Caylee zu Tode kam, wird wohl nie geklärt werden.

Caseys Verteidiger konnte sich das Lachen nicht verkneifen. Es war das Lachen des Siegers.

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